Ökologisches Bewusstsein, steigende Papierkosten und das seit September 2022 laufende "Oui Pub"-Experiment zwingen die französischen Einzelhändler dazu, ihre kommerzielle Kommunikation neu zu erfinden und die Digitalisierung von Printprospekten zu beschleunigen. Was aktuell in Frankreich im Bereich des Handelsmarketings passiert, erläutert Florian Reinartz, Chief Commercial Officer bei Bonial.
In Frankreich markiert das letzte Jahr einen wichtigen Wendepunkt in der Welt des Handelsmarketings. Der makro-ökonomische Wandel treibt die Transformation der kommerziellen Kommunikation und das Überdenken von traditionellen Werbemitteln stark an. Die Digitalisierung von Printprospekten betrachten 82% der französischen Einzelhandelsunternehmen 2022 als vorrangig (+7 Prozentpunkte gegenüber 2021) (1), was sich auch in der Verteilung von Medienbudgets widerspiegelt.
Wie lässt sich der Aufstieg der digitalen Angebotskommunikation in Frankreich erklären?
Die Einzelhändler sind mit einer besonderen Situation konfrontiert. Zu Beginn zwingen die steigenden Druck- und Vertriebskosten die Unternehmen zur Anpassung. Die Papierfabriken, die stark von der Corona-Krise betroffen waren, sind nicht mehr in der Lage, mit der Nachfrage nach Papier Schritt zu halten. Außerdem sind die Energiepreise, wie in Deutschland, im Laufe des Jahres stark gestiegen und haben sich auf die Preise ausgewirkt. Dieser Anstieg kann von den Einzelhändlern, die nur einen begrenzten Spielraum bei den Preisen haben, nicht aufgefangen werden.
Abgesehen von den steigenden Papierkosten ermutigen neue Verbrauchergewohnheiten die Einzelhändler, auf digitale Kanäle umzusteigen. In Frankreich gibt es 53,5 Millionen Internetnutzer (2) und 38,3 Millionen tägliche Mobilfunknutzer (+26 % in 4 Jahren) (3). Außerdem lesen 38% der Franzosen jede Woche digitale Prospekte (4).
In Frankreich gelten bereits mehrere Gesetze zum Schutz der Umwelt und zur Förderung eines nachhaltigen, ressourcenschonenden Konsums. Die Produktion von gedruckten Prospekten verbraucht jedoch wichtige Ressourcen und erzeugt Abfall. In Frankreich erhält jeder Haushalt jedes Jahr mehr als 26 Kilogramm unadressierte Werbepost. Und mindestens einmal pro Woche geben 44% (5) der Befragten an, Papierwerbung in den Müll zu werfen, ohne sie weiter zu beachten.
Florian Reinartz, Chief Commercial Officer bei Bonial
Um die Verschwendung einzudämmen, wurde in Frankreich das Experiment "Oui Pub" gestartet, das auf das Klima- und Resilienzgesetz zurückgeht und mehr als 2,5 Millionen Franzosen betrifft. Seit September 2022 haben sich elf freiwillige Gemeinden dieser Kampagne angeschlossen und drei weitere Zonen werden im Februar 2023 hinzukommen. Im Gegensatz zum "Bitte keine Werbung"- Aufkleber verbietet das "Oui Pub"-Gesetz den Einzelhändlern, unadressierte Werbung in die Briefkästen zu werfen – es sei denn, es ist ein "Oui Pub"-Aufkleber darauf angebracht. Eine Opt-In- Regelung für analoge Briefkästen.
Für die Händler und Marken steht viel auf dem Spiel. Ersten Schätzungen zufolge haben nämlich nur 11% (6) der Franzosen diesen Aufkleber in den betroffenen Gebieten angebracht. Viele potentielle Konsumenten werden also nicht angesprochen oder gehen den Einzelhändlern verloren. An diesem Beispiel wird klar: Mit gedruckter Handelswerbung erreicht der französische Handel nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung. Die Endkunden müssen auf anderen Wegen, auf anderen Kanälen angesprochen werden.
Die Prospektverteiler haben im Rahmen der "Oui Pub"-Kampagne darüber hinaus angekündigt, dass die Preise unabhängig von der zugestellten Menge der Werbepost sich nicht ändern werden, da der Aufwand der Distribution ähnlich hoch bleibt. Das hat zur Folge, dass die Händler nicht einmal versuchen, die Anbringung des "Oui Pub"-Aufklebers zu fördern, sondern direkt eine andere Lösung wählen: digitale Substitution.
Digital ist für die französischen Einzelhändler bereits weit mehr als nur eine optionale Möglichkeit. 97% (1) integrieren digitale Alternativen bereits in den Kommunikationsmix ihrer Broschüren. Und 83% (1) der französischen Einzelhandelsunternehmen vertrauen auf die Digitalisierung, um die Erosion der Papierprospekt-Reichweite zu kompensieren. Die französischen Händler scheinen die Auswirkungen des dreijährigen „Oui Pub“-Experiments nicht abwarten zu wollen, sondern erhöhen proaktiv das Tempo, um keinen Frequenz- und Umsatzverlust zu erleiden. Mehr als acht von zehn Einzelhändlern geben an, dass sie ihr gesamtes oder zumindest einen Teil ihres Budgets für Papierprospekte auf digitale Medien umstellen (+12 Prozentpunkte gegenüber 2021) (1). Einige Einzelhändler, wie z.B. Carrefour, haben bereits angekündigt, dass 80% ihrer Prospekte im Jahr 2024 digitalisiert sein werden. Cora und sogar E.Leclerc, der größte Einzelhändler Frankreichs, werden die Verteilung ihrer gedruckten Prospekte in Briefkästen im Jahr 2023 vollständig einstellen. Diese Ankündigungen zeigen den immer stärkeren Wunsch und Anspruch des französischen Marktes, neue Wege in der Angebotskommunikation zu gehen.
Quellen:
(1) Infopro-Umfrage für LSA und Bonial - "La digitalisation des prospectus et catalogues publicitaires" - Oktober 2022 - Stichprobe von 218 französischen Einzelhändlern
(2) Médiamétrie - Bericht 2021
(3) Médiamétrie et Médiamétrie//NetRatings - Audience Internet Global - Frankreich - Oktober 2017 und Oktober 2021 - Basis: 2 Jahre und mehr
(4) OpinionWay Survey für Bonial - "Les Français et les prospectus et catalogues publicitaires" - Februar 2022 - Stichprobe von 5188 Befragten (5) ADEME
(6) Editions Dauvers - Bordeaux, Libourne, Nancy, Valence, Leff Armor, Sartrouville Städte - Von September bis Dezember 2022